Der lange Weg durch den Siegel-Dschungel: Wofür steht eigentlich das Österreichische Umweltzeichen?
Wir geben es zu: Im Siegel-Dschungel der Umweltlabels ist es ganz schön schwierig, sich zurecht zu finden. Immer mehr Unternehmen verzieren Verpackungen mit grünen Häkchen, Bäumchen oder Tiersymbolen, die die Umweltfreundlichkeit der Produkte garantieren sollen. Wir möchten dir dabei helfen, Licht ins (Siegel-)Dunkel zu bringen und geben dir Hintergrundinformationen zum Österreichischen Umweltzeichen. Du weißt zwar, wie das österreichische Umweltzeichen aussieht, kennst jedoch dessen Bedeutung nicht? Dann ist dieser Artikel genau der Richtige für dich!
Ein Beitrag von Marie Gandl
Ein Beitrag von Marie Gandl
Das österreichische Umweltzeichen ist ein freiwilliges Gütesiegel, das einerseits umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen, andererseits ganze Unternehmen aus spezifischen Branchen auszeichnet. Es gilt als das wichtigste staatlich geprüfte Umweltsiegel des Landes, das laut einer Studie zudem einen hohen Bekanntheitsgrad bei Konsument*innen aufweist. Für die Entwicklung der Kriterien der über 60 Umweltzeichen-Richtlinien sind das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) und der Verein für Konsumenteninformation (VKI) zuständig. Wir haben mit DI Christian Kornherr, Bereichsleiter des österreichischen Umweltzeichens beim VKI, über dessen Bedeutung, den Prozess der Zertifizierung, sowie die Kriterien des Gütesiegels gesprochen.
Marie: Seit wann gibt es das Österreichische Umweltzeichen und wofür steht es?
DI Christian Kornherr: Das Umweltzeichen gibt es seit 1990. Durch das Zeichen wird versucht, eine unabhängige, sachbasierte Aussage zu treffen, ob ein Produkt umweltfreundlicher ist als ein Vergleichbares. Es ist also kein absolutes Zeichen, das aussagt, ob etwas zur Gänze umweltfreundlich oder nachhaltig ist, sondern immer im Vergleich zur Produktgruppe mit einem ähnlichen Anwendungszweck. Sei es Wandfarbe, Lack, oder Reinigungsmittel, Fonds, ein Hotel, etc.
M: Für welche Branchen wird das Umweltzeichen vergeben? Sie haben bereits angesprochen, dass nicht nur Produkte und Dienstleistungen ausgezeichnet werden?
CK: Von seinem Ursprung her waren es nur Produkte, die ausgezeichnet wurden. Das trifft auch heute noch auf einen Großteil der Kriterien zu. Wenn es um ein Produkt geht, dann ist nur genau jenes Produkt gemeint, und somit auch kein anderes Erzeugnis eines Unternehmens.
Es gibt weitere Säulen des Österreichischen Umweltzeichens, nämlich neben ‚Produkten und Dienstleistungen‘ auch die Bereiche ‚Events & Meetings‘, ‘Tourismus‘ und ‚Bildung‘. In letzteren beiden Bereichen wird ein ganzer Betrieb ausgezeichnet. Andersherum: wenn dieses Unternehmen aus den Branchen Tourismus oder dem Bildungsbereich Produkte anbieten würde, (z.B. ein Hotel verkauft einen Guglhupf), gilt das Umweltzeichen nur für den Betrieb, aber nicht für dessen Erzeugnisse.
M: Können sich z.B. auch Vereine zertifizieren lassen?
CK: Vereine können sich zum Beispiel als Bildungseinrichtungen zertifizieren lassen, wenn sie einen Bildungszweck erfüllen. Falls ein Verein überwiegend Veranstaltungen organisiert, können diese wiederum als ‚Green Event‘ ausgezeichnet werden.
M: Das Thema Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren für viele Unternehmen an Bedeutung gewonnen. Erkennen Sie einen Trend hin zu größerer Nachfrage nach einer Zertifizierung für Unternehmen/Produkte?
CK: Jein – ich würde sagen, es kommt auf die Bereiche an. Das Umweltzeichen deckt theoretisch alle Bereiche ab (außer Lebensmittel). Es gibt aber nur für ganz bestimmte Arten von Produkten auch Kriterien. Nur für solche ist es möglich, eine Zertifizierung zu erhalten. Wenn jemand interessiert ist, z. B. Fenster zertifizieren zu lassen, dann müssen wir diesem Unternehmen mitteilen, dass das zwar wahrscheinlich interessant und wichtig wäre, es aber nicht möglich ist, weil dafür keine Umweltzeichen-Kriterien veröffentlicht sind. Wir bemerken steigende Nachfrage, aber oft handelt es sich dabei um Produkte, die eher in Richtung ‚Innovation‘ gehen und dafür einen Preis erhalten möchten. Dafür ist das Umweltzeichen aber nicht gedacht. Wir möchten gerne im Mainstream sein und hier Produkte vergleichen können, die eine große Bedeutung beim nachhaltigen Konsum haben.
Es gibt auch Produktgruppen, die momentan sehr gefragt sind. Zum Beispiel bei nachhaltigem Strom steigt die Nachfrage nach einer Zertifizierung. Das ist auch gut so, da Österreich bis 2030 nur mehr Strom aus erneuerbaren Energien produzieren sollte. Außerdem bemerken wir steigende Nachfrage in den Bereichen nachhaltiges Investment, im gesamten Tourismusbereich sowie im erweiterten Randbereich der Green Meetings und Events. Trotz dieser aktuell sehr schwierigen Situation in der Tourismus- und Eventbranche ist hier die Nachfrage ungebremst.
M: Die Grundlage für eine Zertifizierung mit dem Österreichischen Umweltzeichen bilden branchenspezifische Richtlinien mit unterschiedlichen, verbindlichen Kriterien. Wie werden diese Kriterien jeweils definiert?
CK: Der Entwicklungsprozess ist sehr wichtig, weil dieser auch ein unabhängiges Umweltzeichensystem auszeichnet. Das Österreichische Umweltzeichen fällt unter die Umweltzeichen der ISO-Norm Typ 1, die bestimmte Voraussetzungen fordert. Der Kriterienentwicklungsprozess muss wissensbasiert sein: Im Idealfall baut er auf eine Lebenszyklusanalyse des Produkts auf. So können Schwachstellen erkannt werden, bei denen wir mithilfe der Kriterien Anreize zur Verbesserung schaffen. Dieser Prozess ist so angesetzt, dass sich alle Beteiligten aus der Branche (Anm.: ein möglichst ausgeglichenes Stakeholdergremium, siehe Infos unten) zusammensetzen, um dann über die Kriterien zu diskutieren. Hier geht es um die Gratwanderung zwischen maximal möglicher Umweltfreundlichkeit als klare Abgrenzung zu Greenwashing, die gleichzeitig und realistischerweise am Markt durchsetzbar ist.
Manchmal wollen wir auch Kriterien definieren, die Produkte am Markt vielleicht noch gar nicht erreichen, aber von denen wir wissen, dass sie in Zukunft erreicht werden können.
M: Wie stellen Sie sicher, dass Sie die Kriterien so setzen, dass Firmen oder Produkte immer noch ein Stück weit umweltfreundlicher werden?
CK: Das ist das Spannendste bei der Entwicklung. Des Weiteren ist es natürlich auch wichtig, den Kriterienkatalog so aktuell wie möglich zu halten.Wir haben einen relativ langen Überarbeitungsintervall, der normalerweise vier Jahre dauert. Manchmal nehmen wir allerdings Änderungen dazwischen vor, weil es notwendig ist. In vier Jahren kann sehr viel passieren. Es ist unsere Aufgabe, nach diesem Zeitraum zu überprüfen, wohin sich der Markt entwickelt hat und welche Entwicklungen in Richtung Umweltfreundlichkeit noch möglich sind. Wir fragen uns, wie man Kriterien so definieren bzw. den Anspruch so heben kann, dass Unternehmen wieder nachziehen müssen. Das wäre das theoretische Modell, das funktioniert allerdings auch nicht immer, muss man ehrlicherweise sagen.
M: Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Ein Unternehmen möchte das Umweltzeichen für ein Produkt erhalten. Wie kommt es zur Zertifizierung?
CK: Grundsätzlich ist anzumerken, dass wir die Zertifizierung nicht selbst durchführen. Das ist auch in den Systemen so vorgesehen: Wenn man ein ISO Typ 1 Umweltzeichen sein möchte, dann muss die Zertifizierung getrennt von der Prüfung erfolgen. Die Zertifizierung erfolgt durch Prüfstellen, die vom Österreichischen Umweltzeichen zugelassen werden und gewisse Voraussetzungen erfüllen müssen (u. a. Qualität der Prüfung, fachliche Eignung), und dann wird durch ein Gutachten bestätigt, dass die Kriterien erfüllt werden.
M: Wenn ein Produkt zertifiziert ist, wie lange ist diese Zertifizierung dann gültig? Wie erfolgt die Kontrolle, ob die Kriterien eingehalten werden?
CK: Der Vertrag, und somit die Zertifizierung, gilt (angeglichen an den Entwicklungsprozess) vier Jahre, bevor eine erneute Überprüfung durchgeführt wird. Allerdings sind die Lizenznehmer*innen innerhalb dieses Zeitraums verpflichtet, gegebenenfalls Änderungen oder Adaptierungen am Produkt von einer Prüfstelle genehmigen zu lassen. Falls sich Kriterien früher ändern, müssen Firmen diese ebenfalls zwischenzeitlich überprüfen lassen. Zusätzlich führen wir Stichproben bei Unternehmen und Produkten durch, um die Einhaltung zu kontrollieren.
M: Was passiert, wenn ein Unternehmen, die Vorgaben nicht (mehr) erfüllt?
CK: Wenn es im Rahmen der Erstzulassung gewisse Kriterien nicht einhalten kann, bekommt es das Umweltzeichen schlichtweg nicht - erst dann, wenn alle Kriterien erfüllt sind. Manchmal ist es nur ein spezifischer Nachweis, der fehlt. Grundsätzlich bekommen Unternehmen eine Frist, in der Nicht-Konformitäten behoben werden können. Als Beispiel: Ein Produkt ändert einen Zusatzstoff, dieser muss sich dann innerhalb der Frist einer erneuten Überprüfung unterziehen.
Wenn wir bei bestehenden Zertifikaten Kriterien ändern, wie vorhin beschrieben, ist die Frist für Unternehmen ein Jahr. In diesem Jahr müssen Unternehmen das Erzeugnis oder Produkt so adaptieren, dass die Konformität erreicht wird. Das klingt lange, aber bei gewissen Prozessen braucht man einfach diese Vorlaufzeit. Spätestens ein Jahr nachdem die neuen Kriterien veröffentlicht wurden sind die vorgenommenen Änderungen vorzuweisen.
M: Sie haben vorher schon das Thema „Greenwashing“ angesprochen: Wie wirken Sie der verbreiteten Praxis entgegen, bei der sich Unternehmen mit gewissen Logos einen grünen Anstrich verpassen wollen?
CK: Das ist tatsächlich etwas, das uns aus vielerlei Hinsicht, nicht nur als Umweltzeichen selbst, beschäftigt. Greenwashing gibt es schon seit Anfang der 90er, damals nannte man es ‚Siegelflut‘. In Wirklichkeit hat sich nach 30 Jahren nicht sehr viel geändert. Im Gegenteil, heute ist das Thema aktueller, denn je. Als Konsument*innenorganisation wäre uns am liebsten, wir könnten dieses Vorgehen einfach einklagen und sagen „Du wirbst damit, dass dein Produkt nachhaltig ist, beweise es, wir haben berechtigte Zweifel daran“. Dies ist allerdings leider sehr schwierig, da es keine eindeutige Regelung dazu gibt.
Das Ziel der Kommission als auch der Verbraucherschutzorganisationen ist es, Greenwashing gut bekämpfen zu können. Ob das so einfach sein wird ist die Frage. Es wird spannend, aber jetzt ist der ideale Zeitpunkt (u. a. mit dem Green Deal), um dieses Thema anzusprechen. Wir versuchen hier auf vielen Ebenen mitzuarbeiten und zu unterstützen, national und auf europäischer Ebene.
M: Wie können Konsument*innen Ihrer Meinung nach sicher gehen, dass sie durch die vielen verschiedenen Umwelt-Siegel bzw. -Logos, die es am Markt gibt, nicht in die Irre geführt werden und möglicherweise auf Marketing-Gags hereinfallen?
CK: Das ist eine schwierige Frage. Früher gab es die Broschüren „Diesen Gütesiegeln kannst du vertrauen“, die wahrscheinlich nie jemand zum Einkauf mitgenommen hat, heute im Online-Zeitalter kann man das ganz praktisch und viel einfacher online lösen.
Allerdings denke ich auch, dass Einkaufen für die Menschen nicht zur Wissenschaft werden sollte. Prinzipiell sagen wir immer, die Biozeichen sind vertrauenswürdige Zeichen für Lebensmittel. Wenn es um Regionalität geht: das AMA-Gütesiegel (mit all seinen Einschränkungen), wenn es um Umweltschutz geht: Labels wie ‚FairTrade‘ (neben dem Österreichischen Umweltzeichen). Im Textilbereich z. B. GOTS, um nur einige Beispiele neben den offiziellen ISO Typ 1 Labels zu nennen, wie es das Umweltzeichen oder das EU Ecolabel ist.
Um sicherzugehen, dass sich Konsument*innen auf Zeichen und Logos verlassen können, bedarf es meiner Meinung nach Organisationen und Initiativen, die durch Transparenz Vertrauen schaffen.
M: Würden Ihrer Meinung nach Einschränkungen oder Kontrollen auf Produzent*innen-Seite dazu beitragen, mehr Transparenz im Label-Dschungel zu erreichen (z. B. durch das Verbot von markeneigenen Umweltlogos)?
CK: Das habe ich vorher gemeint, als ich gesagt habe „auch ein Siegel kann Greenwashing sein“. Es läuft international unter dem Begriff „Green Claim“. Da bin ich optimistisch, dass da ein Regulativ kommen wird, mit dem man zumindest mehr Handhabe hat als jetzt.
Im Lebensmittelbereich ist es ganz eindeutig, man darf z. B. mit gesundheitsbezogenen Aussagen nicht werben. Da gibt es bestimmte Claims, die gar nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen verwendet werden dürfen. Da bin ich positiv gestimmt, dass wir in 2-3 Jahren auch im Umweltbereich einen rechtlichen Rahmen haben werden.
M: Welche Branchen sollten sich mehr zertifizieren lassen? Bei welchen Branchen sehen Sie am meisten Nachholbedarf in Österreich?
CK: Auf jeden Fall im Textilbereich, hier ist nicht nur die soziale Ebene relevant, sondern auch und besonders die Umweltebene. Da gibt es internationale Systeme, die ganz gut funktionieren, insofern ist hier der Bedarf in Österreich vielleicht nicht so groß. Ich würde mir das aber trotzdem auch fürs Österreichische Umweltzeichen wünschen, dass Unternehmen mehr Produkte im Textilbereich zertifizieren lassen - oder generell die Branchen, in denen die Lieferketten sehr lange sind (Textilien, Schuhe, Bekleidung, Spielwaren).
Weiters zu nennen wäre der komplexe Bereich ‚Elektronik‘, der zum Teil durchs Energielabel bei der Energieeffizienz ganz gut geregelt ist. Hier gibt es allerdings bisher keine Kriterien unsererseits. Wenn allerdings in Zukunft die Themen Langlebigkeit, Reparaturfähigkeit, Softwareupdates etc. noch stärker forciert werden, dann würde ich mir als Konsumentenschutzorganisation schon wünschen, dass es eine bessere Entwicklung und vor allem bessere Informationen über nachhaltige (elektronische) Produkte gibt.
Womit wir uns beim Umweltzeichen beschäftigen ist weniger die Hardware, sondern eher die Software für digitale Prozesse und der Energieverbrauch, der für Rechenzentren aufgewendet wird. Es ist eines der nächsten Projekte, hier Kriterien zu entwickeln.
M: Abschließend: Wo können sich Verbraucher*innen über das Umweltzeichen informieren?
CK: Die Website umweltzeichen.at ist unser zentrales Informationsmedium, dort findet man auch die Info-E-Mail-Adressen. Über Soziale Medien (Instagram, Facebook) werden zusätzlich spannende Informationen verbreitet.
Vielen Dank an DI Christian Kornherr für das Gespräch!
DI Christian Kornherr: Das Umweltzeichen gibt es seit 1990. Durch das Zeichen wird versucht, eine unabhängige, sachbasierte Aussage zu treffen, ob ein Produkt umweltfreundlicher ist als ein Vergleichbares. Es ist also kein absolutes Zeichen, das aussagt, ob etwas zur Gänze umweltfreundlich oder nachhaltig ist, sondern immer im Vergleich zur Produktgruppe mit einem ähnlichen Anwendungszweck. Sei es Wandfarbe, Lack, oder Reinigungsmittel, Fonds, ein Hotel, etc.
M: Für welche Branchen wird das Umweltzeichen vergeben? Sie haben bereits angesprochen, dass nicht nur Produkte und Dienstleistungen ausgezeichnet werden?
CK: Von seinem Ursprung her waren es nur Produkte, die ausgezeichnet wurden. Das trifft auch heute noch auf einen Großteil der Kriterien zu. Wenn es um ein Produkt geht, dann ist nur genau jenes Produkt gemeint, und somit auch kein anderes Erzeugnis eines Unternehmens.
Es gibt weitere Säulen des Österreichischen Umweltzeichens, nämlich neben ‚Produkten und Dienstleistungen‘ auch die Bereiche ‚Events & Meetings‘, ‘Tourismus‘ und ‚Bildung‘. In letzteren beiden Bereichen wird ein ganzer Betrieb ausgezeichnet. Andersherum: wenn dieses Unternehmen aus den Branchen Tourismus oder dem Bildungsbereich Produkte anbieten würde, (z.B. ein Hotel verkauft einen Guglhupf), gilt das Umweltzeichen nur für den Betrieb, aber nicht für dessen Erzeugnisse.
M: Können sich z.B. auch Vereine zertifizieren lassen?
CK: Vereine können sich zum Beispiel als Bildungseinrichtungen zertifizieren lassen, wenn sie einen Bildungszweck erfüllen. Falls ein Verein überwiegend Veranstaltungen organisiert, können diese wiederum als ‚Green Event‘ ausgezeichnet werden.
M: Das Thema Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren für viele Unternehmen an Bedeutung gewonnen. Erkennen Sie einen Trend hin zu größerer Nachfrage nach einer Zertifizierung für Unternehmen/Produkte?
CK: Jein – ich würde sagen, es kommt auf die Bereiche an. Das Umweltzeichen deckt theoretisch alle Bereiche ab (außer Lebensmittel). Es gibt aber nur für ganz bestimmte Arten von Produkten auch Kriterien. Nur für solche ist es möglich, eine Zertifizierung zu erhalten. Wenn jemand interessiert ist, z. B. Fenster zertifizieren zu lassen, dann müssen wir diesem Unternehmen mitteilen, dass das zwar wahrscheinlich interessant und wichtig wäre, es aber nicht möglich ist, weil dafür keine Umweltzeichen-Kriterien veröffentlicht sind. Wir bemerken steigende Nachfrage, aber oft handelt es sich dabei um Produkte, die eher in Richtung ‚Innovation‘ gehen und dafür einen Preis erhalten möchten. Dafür ist das Umweltzeichen aber nicht gedacht. Wir möchten gerne im Mainstream sein und hier Produkte vergleichen können, die eine große Bedeutung beim nachhaltigen Konsum haben.
Es gibt auch Produktgruppen, die momentan sehr gefragt sind. Zum Beispiel bei nachhaltigem Strom steigt die Nachfrage nach einer Zertifizierung. Das ist auch gut so, da Österreich bis 2030 nur mehr Strom aus erneuerbaren Energien produzieren sollte. Außerdem bemerken wir steigende Nachfrage in den Bereichen nachhaltiges Investment, im gesamten Tourismusbereich sowie im erweiterten Randbereich der Green Meetings und Events. Trotz dieser aktuell sehr schwierigen Situation in der Tourismus- und Eventbranche ist hier die Nachfrage ungebremst.
M: Die Grundlage für eine Zertifizierung mit dem Österreichischen Umweltzeichen bilden branchenspezifische Richtlinien mit unterschiedlichen, verbindlichen Kriterien. Wie werden diese Kriterien jeweils definiert?
CK: Der Entwicklungsprozess ist sehr wichtig, weil dieser auch ein unabhängiges Umweltzeichensystem auszeichnet. Das Österreichische Umweltzeichen fällt unter die Umweltzeichen der ISO-Norm Typ 1, die bestimmte Voraussetzungen fordert. Der Kriterienentwicklungsprozess muss wissensbasiert sein: Im Idealfall baut er auf eine Lebenszyklusanalyse des Produkts auf. So können Schwachstellen erkannt werden, bei denen wir mithilfe der Kriterien Anreize zur Verbesserung schaffen. Dieser Prozess ist so angesetzt, dass sich alle Beteiligten aus der Branche (Anm.: ein möglichst ausgeglichenes Stakeholdergremium, siehe Infos unten) zusammensetzen, um dann über die Kriterien zu diskutieren. Hier geht es um die Gratwanderung zwischen maximal möglicher Umweltfreundlichkeit als klare Abgrenzung zu Greenwashing, die gleichzeitig und realistischerweise am Markt durchsetzbar ist.
Manchmal wollen wir auch Kriterien definieren, die Produkte am Markt vielleicht noch gar nicht erreichen, aber von denen wir wissen, dass sie in Zukunft erreicht werden können.
M: Wie stellen Sie sicher, dass Sie die Kriterien so setzen, dass Firmen oder Produkte immer noch ein Stück weit umweltfreundlicher werden?
CK: Das ist das Spannendste bei der Entwicklung. Des Weiteren ist es natürlich auch wichtig, den Kriterienkatalog so aktuell wie möglich zu halten.Wir haben einen relativ langen Überarbeitungsintervall, der normalerweise vier Jahre dauert. Manchmal nehmen wir allerdings Änderungen dazwischen vor, weil es notwendig ist. In vier Jahren kann sehr viel passieren. Es ist unsere Aufgabe, nach diesem Zeitraum zu überprüfen, wohin sich der Markt entwickelt hat und welche Entwicklungen in Richtung Umweltfreundlichkeit noch möglich sind. Wir fragen uns, wie man Kriterien so definieren bzw. den Anspruch so heben kann, dass Unternehmen wieder nachziehen müssen. Das wäre das theoretische Modell, das funktioniert allerdings auch nicht immer, muss man ehrlicherweise sagen.
M: Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Ein Unternehmen möchte das Umweltzeichen für ein Produkt erhalten. Wie kommt es zur Zertifizierung?
CK: Grundsätzlich ist anzumerken, dass wir die Zertifizierung nicht selbst durchführen. Das ist auch in den Systemen so vorgesehen: Wenn man ein ISO Typ 1 Umweltzeichen sein möchte, dann muss die Zertifizierung getrennt von der Prüfung erfolgen. Die Zertifizierung erfolgt durch Prüfstellen, die vom Österreichischen Umweltzeichen zugelassen werden und gewisse Voraussetzungen erfüllen müssen (u. a. Qualität der Prüfung, fachliche Eignung), und dann wird durch ein Gutachten bestätigt, dass die Kriterien erfüllt werden.
M: Wenn ein Produkt zertifiziert ist, wie lange ist diese Zertifizierung dann gültig? Wie erfolgt die Kontrolle, ob die Kriterien eingehalten werden?
CK: Der Vertrag, und somit die Zertifizierung, gilt (angeglichen an den Entwicklungsprozess) vier Jahre, bevor eine erneute Überprüfung durchgeführt wird. Allerdings sind die Lizenznehmer*innen innerhalb dieses Zeitraums verpflichtet, gegebenenfalls Änderungen oder Adaptierungen am Produkt von einer Prüfstelle genehmigen zu lassen. Falls sich Kriterien früher ändern, müssen Firmen diese ebenfalls zwischenzeitlich überprüfen lassen. Zusätzlich führen wir Stichproben bei Unternehmen und Produkten durch, um die Einhaltung zu kontrollieren.
M: Was passiert, wenn ein Unternehmen, die Vorgaben nicht (mehr) erfüllt?
CK: Wenn es im Rahmen der Erstzulassung gewisse Kriterien nicht einhalten kann, bekommt es das Umweltzeichen schlichtweg nicht - erst dann, wenn alle Kriterien erfüllt sind. Manchmal ist es nur ein spezifischer Nachweis, der fehlt. Grundsätzlich bekommen Unternehmen eine Frist, in der Nicht-Konformitäten behoben werden können. Als Beispiel: Ein Produkt ändert einen Zusatzstoff, dieser muss sich dann innerhalb der Frist einer erneuten Überprüfung unterziehen.
Wenn wir bei bestehenden Zertifikaten Kriterien ändern, wie vorhin beschrieben, ist die Frist für Unternehmen ein Jahr. In diesem Jahr müssen Unternehmen das Erzeugnis oder Produkt so adaptieren, dass die Konformität erreicht wird. Das klingt lange, aber bei gewissen Prozessen braucht man einfach diese Vorlaufzeit. Spätestens ein Jahr nachdem die neuen Kriterien veröffentlicht wurden sind die vorgenommenen Änderungen vorzuweisen.
M: Sie haben vorher schon das Thema „Greenwashing“ angesprochen: Wie wirken Sie der verbreiteten Praxis entgegen, bei der sich Unternehmen mit gewissen Logos einen grünen Anstrich verpassen wollen?
CK: Das ist tatsächlich etwas, das uns aus vielerlei Hinsicht, nicht nur als Umweltzeichen selbst, beschäftigt. Greenwashing gibt es schon seit Anfang der 90er, damals nannte man es ‚Siegelflut‘. In Wirklichkeit hat sich nach 30 Jahren nicht sehr viel geändert. Im Gegenteil, heute ist das Thema aktueller, denn je. Als Konsument*innenorganisation wäre uns am liebsten, wir könnten dieses Vorgehen einfach einklagen und sagen „Du wirbst damit, dass dein Produkt nachhaltig ist, beweise es, wir haben berechtigte Zweifel daran“. Dies ist allerdings leider sehr schwierig, da es keine eindeutige Regelung dazu gibt.
Das Ziel der Kommission als auch der Verbraucherschutzorganisationen ist es, Greenwashing gut bekämpfen zu können. Ob das so einfach sein wird ist die Frage. Es wird spannend, aber jetzt ist der ideale Zeitpunkt (u. a. mit dem Green Deal), um dieses Thema anzusprechen. Wir versuchen hier auf vielen Ebenen mitzuarbeiten und zu unterstützen, national und auf europäischer Ebene.
M: Wie können Konsument*innen Ihrer Meinung nach sicher gehen, dass sie durch die vielen verschiedenen Umwelt-Siegel bzw. -Logos, die es am Markt gibt, nicht in die Irre geführt werden und möglicherweise auf Marketing-Gags hereinfallen?
CK: Das ist eine schwierige Frage. Früher gab es die Broschüren „Diesen Gütesiegeln kannst du vertrauen“, die wahrscheinlich nie jemand zum Einkauf mitgenommen hat, heute im Online-Zeitalter kann man das ganz praktisch und viel einfacher online lösen.
Allerdings denke ich auch, dass Einkaufen für die Menschen nicht zur Wissenschaft werden sollte. Prinzipiell sagen wir immer, die Biozeichen sind vertrauenswürdige Zeichen für Lebensmittel. Wenn es um Regionalität geht: das AMA-Gütesiegel (mit all seinen Einschränkungen), wenn es um Umweltschutz geht: Labels wie ‚FairTrade‘ (neben dem Österreichischen Umweltzeichen). Im Textilbereich z. B. GOTS, um nur einige Beispiele neben den offiziellen ISO Typ 1 Labels zu nennen, wie es das Umweltzeichen oder das EU Ecolabel ist.
Um sicherzugehen, dass sich Konsument*innen auf Zeichen und Logos verlassen können, bedarf es meiner Meinung nach Organisationen und Initiativen, die durch Transparenz Vertrauen schaffen.
M: Würden Ihrer Meinung nach Einschränkungen oder Kontrollen auf Produzent*innen-Seite dazu beitragen, mehr Transparenz im Label-Dschungel zu erreichen (z. B. durch das Verbot von markeneigenen Umweltlogos)?
CK: Das habe ich vorher gemeint, als ich gesagt habe „auch ein Siegel kann Greenwashing sein“. Es läuft international unter dem Begriff „Green Claim“. Da bin ich optimistisch, dass da ein Regulativ kommen wird, mit dem man zumindest mehr Handhabe hat als jetzt.
Im Lebensmittelbereich ist es ganz eindeutig, man darf z. B. mit gesundheitsbezogenen Aussagen nicht werben. Da gibt es bestimmte Claims, die gar nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen verwendet werden dürfen. Da bin ich positiv gestimmt, dass wir in 2-3 Jahren auch im Umweltbereich einen rechtlichen Rahmen haben werden.
M: Welche Branchen sollten sich mehr zertifizieren lassen? Bei welchen Branchen sehen Sie am meisten Nachholbedarf in Österreich?
CK: Auf jeden Fall im Textilbereich, hier ist nicht nur die soziale Ebene relevant, sondern auch und besonders die Umweltebene. Da gibt es internationale Systeme, die ganz gut funktionieren, insofern ist hier der Bedarf in Österreich vielleicht nicht so groß. Ich würde mir das aber trotzdem auch fürs Österreichische Umweltzeichen wünschen, dass Unternehmen mehr Produkte im Textilbereich zertifizieren lassen - oder generell die Branchen, in denen die Lieferketten sehr lange sind (Textilien, Schuhe, Bekleidung, Spielwaren).
Weiters zu nennen wäre der komplexe Bereich ‚Elektronik‘, der zum Teil durchs Energielabel bei der Energieeffizienz ganz gut geregelt ist. Hier gibt es allerdings bisher keine Kriterien unsererseits. Wenn allerdings in Zukunft die Themen Langlebigkeit, Reparaturfähigkeit, Softwareupdates etc. noch stärker forciert werden, dann würde ich mir als Konsumentenschutzorganisation schon wünschen, dass es eine bessere Entwicklung und vor allem bessere Informationen über nachhaltige (elektronische) Produkte gibt.
Womit wir uns beim Umweltzeichen beschäftigen ist weniger die Hardware, sondern eher die Software für digitale Prozesse und der Energieverbrauch, der für Rechenzentren aufgewendet wird. Es ist eines der nächsten Projekte, hier Kriterien zu entwickeln.
M: Abschließend: Wo können sich Verbraucher*innen über das Umweltzeichen informieren?
CK: Die Website umweltzeichen.at ist unser zentrales Informationsmedium, dort findet man auch die Info-E-Mail-Adressen. Über Soziale Medien (Instagram, Facebook) werden zusätzlich spannende Informationen verbreitet.
Vielen Dank an DI Christian Kornherr für das Gespräch!
Wissenswertes über das Österreichische Umweltzeichen:
(Quelle: umweltzeichen.at)
Zahlen & Fakten
In Österreich gibt es 1.100 Unternehmen als Lizenznehmer, 4.100 Produkte und Dienstleistungen, die zertifiziert sind, sowie 160 Bildungseinrichtungen, 400 Tourismusbetriebe, und 80 Veranstalter von Green Meetings & Events, die das Umweltzeichen tragen. (Stand März 2020).
Kategorien
Das Gütesiegel wird in 4 Kategorien verliehen:
Die Grundlage für die Zertifizierung bilden Richtlinien mit verbindlichen Kriterien.
Es wird der „Lebenszyklus-Ansatz“ angewendet: Betrachtet werden dabei die Umweltauswirkungen beim Gebrauch, Herstellung und der Entsorgung. Zusätzlich werden folgende Aspekte beleuchtet:
International
Das österreichische Umweltzeichen kooperiert mit dem deutschen Umweltzeichen (Blauer Engel) und dem europäischen Ecolabel. Zu deren gemeinsamen Zielen zählen die Kreislaufwirtschaft, der European Green Deal sowie die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen.
Gremium
… für die Erarbeitung der Richtlinien setzt sich zusammen aus Vertreter*innen der
Zero Waste Austria Insider Tipp: Du möchtest dich über andere Umweltsiegel informieren? Dann komm zu unserem kostenlosen Webinar zum Thema ‚Durch den Siegel-Dschungel‘ am 9. März 2021!
(Quelle: umweltzeichen.at)
Zahlen & Fakten
In Österreich gibt es 1.100 Unternehmen als Lizenznehmer, 4.100 Produkte und Dienstleistungen, die zertifiziert sind, sowie 160 Bildungseinrichtungen, 400 Tourismusbetriebe, und 80 Veranstalter von Green Meetings & Events, die das Umweltzeichen tragen. (Stand März 2020).
Kategorien
Das Gütesiegel wird in 4 Kategorien verliehen:
- Produkte (Bauen & Wohnen, Haushalt & Reinigung, Garten, Büro, Papier & Druck, grüne Energie, nachhaltige Finanzprodukte, Mobilität, Schuhe & Textilien, Filmproduktion)
- Tourismus (Reiseveranstalter, Gastronomie, Catering, Hotels, Campingplätze, etc.)
- Bildung (Schulen und Bildungseinrichtungen)
- Green Meetings und Events
Die Grundlage für die Zertifizierung bilden Richtlinien mit verbindlichen Kriterien.
Es wird der „Lebenszyklus-Ansatz“ angewendet: Betrachtet werden dabei die Umweltauswirkungen beim Gebrauch, Herstellung und der Entsorgung. Zusätzlich werden folgende Aspekte beleuchtet:
- Rohstoff und Energieverbrauch
- Toxizität der Inhaltsstoffe
- Emissionen
- Abfälle & Recyclingfähigkeit
- Verpackung
- Vertrieb und Transport
- Qualität und Gebrauchstauglichkeit
- Sicherheit
- Langlebigkeit
- Reparaturfreundlichkeit
International
Das österreichische Umweltzeichen kooperiert mit dem deutschen Umweltzeichen (Blauer Engel) und dem europäischen Ecolabel. Zu deren gemeinsamen Zielen zählen die Kreislaufwirtschaft, der European Green Deal sowie die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen.
Gremium
… für die Erarbeitung der Richtlinien setzt sich zusammen aus Vertreter*innen der
- Verwaltung (Bund, Ländern, Gemeinden)
- Sozialpartner (Wirtschaft, Arbeitnehmer*in)
- NGOs (Umwelt, Konsument*innenschutz) sowie
- Expert*innen aus dem betroffenen Themenbereich
Zero Waste Austria Insider Tipp: Du möchtest dich über andere Umweltsiegel informieren? Dann komm zu unserem kostenlosen Webinar zum Thema ‚Durch den Siegel-Dschungel‘ am 9. März 2021!
Wir legen großen Wert darauf, eine geschlechterneutrale Sprache zu verwenden, um alle Menschen gleichermaßen anzusprechen. Sollte an bestimmten Stellen unserer Webseite dennoch eine geschlechtsspezifische Formulierung auftauchen, bitten wir um Entschuldigung - unsere Website wird laufend überarbeitet. Unser Ziel ist es, eine inklusive Umgebung zu schaffen, in der sich jeder willkommen fühlen kann, unabhängig von Geschlecht oder Identität.
Zero Waste Austria ist offizielles Mitglied bei:
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